Sharon Dodua Otoo
"Wie ein Spiegel: Was Schwarze Feminist*innen uns zeigen (können)"
Moderation: Dagmar Fink, Elisabeth Günther
05.11.2020 / 19.30-21.00 Uhr
Abstract: In diesem Sommer wurden politisch aktive Schwarze Menschen von zahlreichen deutschsprachigen Medien eingeladen, Kommentare zu schreiben, an Podiumsdiskussionen teilzunehmen und ihre Ansichten im Radio zu diskutieren. Plötzlich waren sie nicht mehr nur Opfer, sondern wurden als Expert*innen angesehen. Was wäre gewesen, wenn diese Energie beibehalten worden wäre? Was wäre, wenn dieses Jahr vor allem Schwarze Feminist*innen auch nach dem Sommer in größerer Zahl als je zuvor beschäftigt, gefördert und veröffentlicht worden wären? Wie könnte unsere Medienlandschaft aussehen? Was Schwarze Feminist*innen uns zeigen können und warum wir nicht dafür erst auf tragische Umstände warten sollten, ist das Thema dieser Rede.
Wie ein Spiegel: Was Schwarze Feminist*innen uns zeigen (können)
Juni 2020 hatte ich die große Ehre, die Klagenfurter Rede zur Literatur zu halten. Bei der Vorbereitung meines Vortrages wählte ich eine Struktur, die ironisch auf den Stand des Diskurses über Rassismus in deutschsprachigen Ländern Bezug nahm. Die aufgezeichnete Rede „Dürfen Schwarze Blumen Malen?“ ist ungefähr achtzehn Minuten lang. Für mindestens siebzehn Minuten und fünfzig Sekunden beschäftige ich mich allerdings mit drei Voranmerkungen. Die eigentliche Rede, wenn sie endlich kommt, besteht lediglich aus fünf Wörtern.
Sämtliche Debatten, die dringend von Schwarzen Menschen und People of Color geführt werden müssten, kommen oft viel zu kurz oder finden gar nicht erst statt, weil mediale Diskurse in überwiegend weißen Gesellschaften sich immer wieder um die Grundlagen drehen. Begriffe werden akribisch definiert und Schreibweisen werden geduldig erklärt, aber weil diese Beiträge lediglich als Meinungen abgetan und nicht als wertvollen Aussagen oder wissenschaftliche Expertisen bewertet werden, braucht es immer nur eine abweichende Behauptung, um die Diskussion wieder zurück an den Anfang zu bringen.
Es ist auch nicht zu unterschätzen, wie viel Energie und Mühe es rassismuserfahrene Personen und deren politische Bewegungen kosten kann, dafür zu sorgen, dass weiße Menschen sich in durchschnittlichen Unterhaltungen oder Interaktionen wohl fühlen. Wir achten auf unsere Körpersprache, unsere Tonlage, unsere Wortwahl, wir verwenden abgeschwächte Formulierungen: All diese Strategien tragen dazu bei, weiße Menschen vor Unbehagen zu schützen. Glücklicherweise hat eine Verschiebung in Richtung einer Zentrierung Schwarzer Perspektiven stattgefunden - nicht zuletzt aufgrund des Erstarkens von Schwarzen Bewegungen in deutschsprachigen Ländern.
Der Titel meiner Rede ist inspiriert von May Ayims Gedicht »vertrauen« aus der Sammlung »blues in schwarz weiss«:
gelassen
wie ein spiegel
zeigen was ist
ohne angst zerschlagen zu werden
von dem was sichtbar wird
bevor was sichtbar wird
Ayim war eine Schwarze deutsche Aktivistin, Pädagogin und Dichterin, die Mitte der 1980er Jahre maßgeblich an der Entstehung der jüngeren Schwarzen Bewegung in Deutschland beteiligt war. Die Bewegung war von Anfang an feministisch ausgerichtet. Damals gab es noch keine sozialen Medien, es gab noch nicht einmal Internet. Alles hing von persönlichen Interaktionen, stundenlangen Telefongesprächen und ausführlichen Briefen ab. Schwarze Menschen waren nicht nur für einander wie Spiegel, sondern auch für die deutsche Dominanzgesellschaft. Eine Realität wurde für alle sichtbar, die sich trauten, hinzuschauen.
In meiner Rede heute Abend wird es mir weniger darum gehen, vergangene oder aktuell zu bemängelnde Zustände aufzuzeigen. Wir wissen, dass wir in krisenhaften Zeiten leben. Vieles von dem was passiert, ist die logische Folge eines Systems, das Kapitalismus, Patriarchat und white supremacy oder weiße Vorherrschaft begünstigt und schützt. Um eine grundlegende, vor allem nachhaltige Transformation zu ermöglichen, wird business as usual nicht mehr ausreichen. Daher wird sich meine Rede überwiegend um Schwarze feministische Zukunftsvisionen drehen.
Zusätzlich zur Machtkritik und Sexismuskritik denkt Schwarzer Feminismus weitere Dimensionen der Differenz mit. Rassismuskritik gehört selbstverständlich dazu, aber auch um nur ein paar Beispiele zu nennen, eine kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierung gegen be_hinderte Menschen, trans Personen, intersex Menschen, queere Personen oder Angehörige einer sogenannten „niedrigen“ soziale Klasse. Wie diese verschiedenen Formen der Marginalisierung miteinander verwoben sind und zu strukturellen Nachteilen sowohl von Individuen als auch von sozialen Gruppen führen, wird als „Intersektionalität“ bezeichnet: ein Begriff, der von der US-Amerikanischen Juristin und Schwarzen Feministin Kimberlé Crenshaw geprägt wurde.
Ich habe mich gefragt, wie die deutschsprachige Medienlandschaft aussehen könnte, wenn sie die Expertise Schwarzer Feminist*innen nicht erst nach einem tragischen Vorfall suchen würde, sondern sie von vornherein als wesentlichen Bestandteil eine qualitativ hochwertigen Berichterstattung und Diskursführung verstehen würde. Denn es gibt sie: die Schwarzen feministischen Expert*innen. Schön wäre es, ihre Kenntnisse gewürdigt, und in den Medien besser gespiegelt zu sehen.
Vanessa Spanbauer ist Chefredakteurin von fresh, ein Lifestyle-Magazin für Schwarze Österreicher*innen. Nach dem Mord an George Floyd im Sommer 2020 wurde sie eingeladen, an einer Podiumsdiskussion in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ teilzunehmen. Dieser kurze Ausschnitt aus der Sendung verdeutlicht die Wissenskluft zwischen weißen Menschen und Schwarzen Menschen rund um das Thema struktureller Rassismus.
Worüber würden Schwarze Feminist*innen sprechen wollen, wenn sie ihre eigenen Themen auswählen könnten? Wie würden die von ihnen kuratierten Talkshows, Radiosendungen oder Podien aussehen? Was für eine Politik würden sie machen wollen? Ich habe sowohl mit Vanessa Spanbauer darüber reden können, als auch mit Noomi Anwanyu, eine politische Aktivistin und Sprecherin von „Black Voices“, dem anti-rassistischen Volksbegehren, das sich aus der Black-Lives-Matter-Bewegung in Österreich entwickelt hat. An dieser Stelle noch einmal meinen herzlichen Dank dafür, dass ihr kurzfristig Zeit finden konntet, um mit mir über eure Visionen zu reden. Aus unseren Gesprächen möchte ich drei wichtige Erkenntnisse herausgreifen.
Die erste Erkenntnis: Aktuelle Diskurse könnten noch machtkritischer geführt werden. Genderthemen und Feminismus werden zum Beispiel in den etablierten Medien relativ oft besprochen. Das Thema „Frauenquote“ wird auch regelmäßig diskutiert, allerdings werden diese Diskussionen oft aus einer binären Logik geführt. Eine Schwarze feministische Perspektive auf das Thema würde weniger darauf schauen, dass „Frauen“ und „Männer“ gleichgesetzt werden, denn auch innerhalb dieser beiden Kategorien, gibt es erhebliche Einkommensunterschiede zwischen rassismuserfahrenen Menschen und weißen Menschen. In ihrem Aufsatz „Feminism: A Movement to End Sexist Oppression“ erinnert uns bell hooks eindringlich daran, dass die Hauptforderung von Feminismus die Beendigung sexistischer Unterdrückung sein sollte – eine Unterdrückung, die von den rassistischen, kapitalistischen, queerfeindlichen, be_hindertenfeindlichen Auswirkungen nicht zu trennen ist.
Die Diskussion um Quoten in deutschsprachigen Ländern ist aus der Schwarzen Perspektive noch komplizierter, denn sie musste logischerweise um weitere Dimensionen der Differenz ergänzt werden. Allerdings findet keine Datenerhebung in der gleichen Art und Weise wie in den Vereinigten Staaten und Großbritannien statt. Dies erschwert den Nachweis der Existenz struktureller rassistischer Diskriminierung. Wir wissen zum Beispiel, dass die COVID-19-Krise Schwarze Communities in Großbritannien unverhältnismäßig stark getroffen hat. Derzeit gibt es keine Möglichkeit, zu beurteilen, wie die Lage in Deutschland oder Österreich aussieht, da die relevanten Daten dazu nicht erhoben werden und die Kategorie „Migrationshintergrund“ ist dafür unzulänglich. Für die Statistik zählt eine Person als „mit Migrationshintergrund“ wenn sie oder ein Elternteil im Ausland geboren wurden. Selbstverständlich können hier weiße Menschen mitgemeint sein. Für diejenigen, die mehr darüber lesen möchten, empfehle ich die 2018 erschienene Studie von Ahyoud et al. „Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten in der Einwanderungsgesellschaft.“
Das heißt, um struktureller Diskriminierung entgegenzutreten, die diverse Dimensionen der Differenz mitdenkt, auch in ihren Verschränkungen miteinander, müssen andere Strategien her. In meinen Gesprächen mit Vanessa Spanbauer und Noomi Anyanwu wurde deutlich, wie wichtig es ist, sowohl Schwarze Expert*innen und Expert*innen of Colour zu konsultieren, als auch rassismuserfahrene Communities einzubinden.
Die zweite Erkenntnis: Neue Themen braucht das Land! Zum Beispiel: Weg von dem Thema „Integration“ und hin zu einer grundlegenderen Diskussion darüber, was Österreich für eine Gesellschaft ist und sein möchte. Dazu würde eine Aufarbeitung der österreichischen Kolonial- und NS-Zeit und ihrer Auswirkungen bis zum heutigen Tag von Nöten sein. Ja, es stimmt, dass Österreich keine Kolonien hatte. Doch, wie der Historiker Walter Sauer sagt: „Wenn man Kolonialismus als einen jahrhundertelangen Prozess der Destabilisierung von außereuropäischen Staaten und Gesellschaften versteht, dann ist die Erklärung zur Kolonie nur der letzte Schritt. Bis auf diese letzte Stufe haben aber alle europäischen Staaten mitgewirkt.“
Einzelne österreichische Investoren waren auch im Handel von versklavten Afrikaner*innen tätig. Und der Erwerb von versklavten Menschen durch die Hocharistokratie war weit verbreitet. Über 250 Jahre lang, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, waren afrikanische Menschen in aristokratischen Haushalten zu finden. Ich zitiere Walter Sauer noch einmal: „Österreich hatte zwar nie Kolonien, aber es gibt bis heute eine koloniale Denkweise“. Eine Auseinandersetzung mit dem Leben und Vermächtnis von Angelo Soliman, einem afro-österreichischen Kammerdiener, der im 18. Jahrhundert in Wien lebte, könnte vielen Österreicher*innen, die sich der kolonialen Kontinuitäten in ihrer Gesellschaft nicht bewusst sind, einige unangenehme Wahrheiten über ihre Geschichte und das eigene Selbstbild liefern. Das führt ganz gut zu der dritten Erkenntnis:
In deutschsprachigen Ländern haben öffentlich-rechtliche Medien einen Informations- und Bildungsauftrag, insbesondere in den Bereichen Kunst, Kultur und politische Bildung. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, müssen Konzepte von „Betroffenheit“, „Expertise“, „Qualifikation“ und „Neutralität“ gänzlich neugedacht werden. Wenn wir für mehr Diversität plädieren, ist das Ziel nicht einfach, dass die Belegschaft vielfältig aussieht, aber sonst nicht von den anderen weißen Mitarbeitenden unterscheidet, sondern es geht darum, diverse Erfahrungshorizonte in Institutionen, Organisationen und Strukturen gespiegelt zu wissen. Schwarze Menschen verfügen über Erkenntnisräume, die auch zum gesellschaftlichen Diskurs gehören – oder gehören sollten.
Zurück zu Juni 2020. Der Wiener Black-Lives-Matter Protest war mit 50.000 Teilnehmenden die größte Demonstration der Stadt in den letzten 15 Jahren. Noch am selben Abend führte der ORF-Moderator Stefan Lenglinger ein Gespräch mit einer der Organisator*innen der Demo Mugtaba Hamoudah. Für die kurze der Zeit war es, wie ich finde, ein exzellentes Interview. Die Fragen waren aufschlussreich und prüfend, ohne das Thema – wie es sonst so oft gemacht wird – allein auf die „persönliche“ Erfahrung zu reduzieren. Die Antworten waren klar, deutlich und enthielten sowohl geschichtliche Einordnungen als auch politische Forderungen. Das Erzählte wurde um zwei oder drei persönliche Erfahrungen ergänzt, diese wurden allerdings immer wieder in einen strukturellen Zusammenhang gebracht. Auffällig war auch das verwendete Vokabular wie „weiße Mehrheitsgesellschaft“ und die Wahl einiger Formulierungen wie „Schwarze Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund“ – eine Formulierung die hervorhebt, dass nicht alle Schwarze Menschen eine Migrationshintergrund haben. Dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist aber leider in deutschsprachigen Ländern immer noch nicht der Fall. Es wurde auch von der Wichtigkeit gesprochen, dass in Schulen gelehrt wird, „rassistische und sexistische Strukturen zu analysieren und zu hinterfragen.“ Auch diesen Satz hebe ich hervor, um zu betonen, dass innerhalb der Black-Lives-Matter-Bewegung Sexismuskritik auch zu rassismuskritischer Arbeit gehört.
Millionen von Fernsehzuschauer*innen sahen zwei junge Schwarze Österreicher, die zur Hauptsendezeit über ein gesellschaftlich relevantes Thema diskutieren. Wir möchten mehr davon! Und gerne auch zu weiteren gesellschaftspolitischen Themen. Denn unsere Medien sollten unsere Gesellschaften reflektieren.
gelassen
wie ein spiegel
zeigen was ist
ohne angst zerschlagen zu werden
von dem was sichtbar wird
bevor was sichtbar wird.
Sharon Dodua Otoo (*1972 in London) ist Autorin und politische Aktivistin.
Sie schreibt Prosa und Essays und ist Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe „Witnessed" (edition assemblage). Ihre ersten Novellen „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle" und „Synchronicity" erschienen zuletzt 2017 beim S. Fischer Verlag. Mit dem Text „Herr Gröttrup setzt sich hin" gewann Otoo 2016 mit den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2020 hielt sie die Klagenfurter Rede zur Literatur "Dürfen Schwarze Blumen Malen?", die im Verlag Heyn erschien. Ihr erster Roman auf Deutsch ist für 2021 beim S. Fischer Verlag geplant. Politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. und Phoenix e.V. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.